21. April 2022

Weg von Öl und Gas: Wir zeigen, wie’s geht

Die Abkehr von fossilen Brennstoffen hat politisch, klimatechnisch und wirtschaftlich die höchste Dringlichkeit erreicht. Über umsetzbare Alternativen spricht Anex-Partner und Gesamtprojektleiter Matthias Kolb.

Wir von Anex setzen uns persönlich dafür ein, dass beständige Energiekonzepte geschaffen und vorhandene Wärmepotentiale ausgeschöpft werden. Matthias Kolb hat zahlreiche klimafreundliche Projekte vom Konzept in die Realisation geführt und beantwortet die wichtigsten Fragen zum Gasausstieg.

Gibt es realistische Alternativen zur Gasversorgung?

Natürlich gibt es diese. Die Transformation der Gasnetze in erneuerbare Wärmenetze ist allerdings komplex. Es gibt keine generell anwendbare Standardlösung. 

Eine Möglichkeit, die häufig unterschätzt wird, ist die Nutzung vorhandener Abwärme und gleichzeitige Kühlung. In vielen Gebieten lassen sich Wärmepotenziale finden, die innerhalb der Systemgrenzen genutzt werden können. Diese Potenziale müssen konsequent ausgeschöpft werden, bevor Energieträger von ausserhalb angeliefert werden. So lässt sich zum Beispiel die Abwärme aus dem Betrieb von Rechenzentren für ganze Siedlungen oder grössere Energieverbünde nutzbar machen. So umgesetzt haben wir dies beim Anergienetz Friesenberg.

Welche weiteren Quellen eignen sich für Energieverbünde?

Auch Seewasser oder Grundwasser können als Energiequelle eingesetzt werden. Vielerorts sind lokale Möglichkeiten vorhanden, welche aufgedeckt und mit den richtigen Massnahmen eingebunden werden können.

Die Lösungen sind nicht immer auf Anhieb ersichtlich. Dass wir zum Beispiel ein ganzes Quartier mit der Abwärme einer Kunsteisbahn versorgen, war nicht von Anfang an geplant – doch wir konnten diese Möglichkeit aufzeigen und die unterschiedlichen Parteien von der Idee des Anergienetzes überzeugen. Dazu braucht es immer beide Seiten: die Wärmebezüger genauso wie den Wärmelieferanten bzw. Kältebezüger.

Warum nutzen wir nicht verstärkt Biogas oder synthetisches Gas? 

Biogas oder synthetisch hergestelltes Gas aus der Überproduktion von erneuerbarem Strom wird zuallererst für Hochtemperatur-Prozesse in der Industrie und für die Mobilität benötigt. Für die Wärmeversorgung von Gebäuden ist erneuerbares Gas viel zu wertvoll. Hier sind andere Lösungen gefragt. 

Die Nutzung von Abwärme klingt verlockend. Aber deckt sich denn unser Wärmebedarf zeitlich mit der anfallenden Abwärme?

Oft wird die im Winter verfügbar Abwärmeleistung zum Heizen des eigenen Betriebs genutzt. Aber die im Sommer anfallende, auf den ersten Blick «nutzlose», Abwärme kann im Erdreich gespeichert werden. Diese Speichermethoden sind bekannt und werden breit eingesetzt. Das Wärmepotenzial kann so vollständig ausgeschöpft werden. Ein Lastmanagement hilft zusätzlich, Angebot und Nachfrage zu steuern, damit die erforderliche Spitzenleistung im Netz gesenkt werden kann.

Für die Abwärmenutzung braucht es Wärmepumpen. Führt dies nicht zu einer Elektrifizierung der Wärmenetze?

Ja, die Abwärme kann nur mit Hilfe von Wärmepumpen für Heizzwecke eingesetzt werden. Und diese benötigen Strom. Durch die Wechselwirkung von Wärme und Kälte kann zwar ein Teil des Stroms eingespart werden, aber unter dem Strich verbrauchen wir, vor allem in den Wintermonaten, mehr Strom. Die zukünftigen Wärmekonzepte müssen so ausgelegt werden, dass der Betrieb, und somit der Stromeinsatz, möglichst effizient genutzt wird. Und es braucht Lösungen für die erneuerbare Stromproduktion.

Welche Lösungen gibt es dafür?

Ein grosser Teil des Strombedarfs für die Wärmepumpen soll über eigene Photovoltaik-Anlagen gedeckt werden. Gleichzeitig kommt uns die fortschreitende Elektromobilität entgegen. Bereits können Autobatterien als Stromspeicher für Heizungen doppelgenutzt werden.

Aber die Stromlücke im Winter wird eine der realen, grossen Herausforderungen. Dafür müssen überregionale Lösungen her, und neue Verstromungstechnologien, wie zum Beispiel die Biomasseverstromung, gefördert werden. Mit Vorteil sind die Verstromungsanlagen in lokale Fernwärmenetze eingebunden, in denen sich auch die aus der Verstromung entstehende Abwärme nutzen lässt.

Der Gasausstieg ist also technisch umsetzbar. Aber können wir uns diesen auch leisten?

Der Verzicht auf fossile Energieträger hat seinen Preis. Von den gewohnten Preisen von 12 bis 18 Rappen pro Kilowattstunde für die ins Haus gelieferte Wärme müssen wir uns verabschieden. Die neuen Wärmeversorgungskonzepte führen zu rund 50 Prozent höheren Wärmegestehungspreisen. Neben den hohen Kapitalkosten für die Infrastruktur der thermischen Netze werden sich auch die höheren Strompreise auf die Wärmepreise auswirken. Und die Transformation lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Hierfür sind 10 Jahre oder mehr nötig.

Gibt es Alternativen zu einer generellen Preiserhöhung?

Grundsätzlich sind Energiepreise immer in Bewegung – aufgrund der aktuellen Geschehnisse ist davon auszugehen, dass auch die fossilen Energieträger in Zukunft teurer werden.

Letztlich braucht es eine flexible Preisgestaltung und dementsprechend auch neue Geschäftsmodelle. Bei grosser Nachfrage soll der Wärmepreis steigen. So können die  Wärmebezüger:innen dazu animiert werden, ihren Verbrauch anzupassen und Lastspitzen zu brechen, was wiederum das Gesamtsystem besser auslastet. Die Verrechnung nach dem Verursacherprinzip macht zukünftige Geschäftsmodelle zwar komplexer – jedoch trägt sie massgeblich zur Erreichung der Energieziele bei.

Haben Sie Fragen zum Gasausstieg?

Dieses Thema liegt uns am Herzen. Gerne gebe ich Ihnen weitere Auskunft, wie Sie als Energieversorger, Gemeinde oder Privateigentümer ihr Gasnetz erfolgreich in ein Wärmenetz transformieren können.

Matthias Kolb
Geschäftsleitung, Partner, VR

MSc ETH / SIA


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