13. April 2021

Weniger ist mehr: Dieser Büroneubau erreicht die Klimaziele des Bundes mit Leichtigkeit.

Das neue Wireless Competence Center in Murten von Sonova öffnete am 13. April seine Tore – zumindest virtuell für die Öffentlichkeit. Netto-Null-CO2-Emissionen im Betrieb, fast keine haustechnischen Installationen und die Verwendung von erneuerbaren und wiederverwendbaren Baumaterialien machen den Neubau zu einem Vorreiter seiner Art.

Wie viel Technik braucht ein Gebäude wirklich? Mit dieser Fragestellung haben sich Architekt, Ingenieur und Bauherrschaft zu Beginn des Projektes intensiv auseinandergesetzt: Wie viel Komfort in Bezug auf Raumklima, Bewegung, Atmosphäre und Licht braucht der Mensch zum Arbeiten tatsächlich?

Das Resultat lässt sich sehen. Der Neubau ist nahezu ein energieautarkes Gebäude, in welchem die Haustechnik (fast) keine Rolle spielt. Der Architekt Raf Dauwe (OOS) und Ingenieur Felix Frei (Anex) ziehen eine erste Bilanz im gemeinsamen Gespräch.

Der Büroneubau in Murten kommt mit sehr wenig Technik aus und setzt auf Sonnenenergie. Sollten wir vermehrt auf Technik verzichten?

Felix: Erst mit der «richtigen» Architektur, wird der Bedarf an Haustechnik minimiert. Dem Trend, dass die Gebäude mit immer mehr Technik vollgepackt werden, soll entgegengewirkt werden. Dies geschieht unter anderem auch dank dem BIM-Prozess, welcher es erlaubt, das Gebäude bereits in frühen Phasen zu verstehen. Zudem ein wenig Mut, vor allem auch von der Bauherrschaft.

Raf: Wir haben von Anfang an versucht, Technik kritisch zu hinterfragen. Aber niemals als «negativ» angesehen: Wir brauchen die Technik – jedoch gezielt und nachhaltig eingesetzt. 
Und ja, wir haben uns intensiv mit dem Thema der «richtigen Architektur» auseinandergesetzt: Wir suchten das optimale Gebäudevolumen in Bezug auf natürliche Belichtung und Wärmeverluste. Wir prüften das richtige Verhältnis von geschlossener zu offener Fassade, damit sich Licht- und Wärmeeinfall bestmöglich auf das Raumklima auswirken. Und wir machten Materialien ausfindig, welche ebenfalls ein angenehmes Raumklima unterstützen, eine gute Energiebilanz aufweisen und sich im Nachhinein rezyklieren lassen.

War es von Anfang an klar, dass dieses Gebäude eine Vorreiterrolle im Bereich «Netto-Null-Strategie» übernehmen sollte? 

Raf: Dieses Thema war von Anfang an präsent. Wir als Architekten, aber auch die Bauherrschaft, hatten ein grosses Interesse daran, zukunftsgerichtet, verantwortungsvoll und so «grün» wie möglich zu bauen. Anex war aus diesem Grund von Anfang an involviert und Teil des Teams.

Felix: Ja, wir sind froh, dass die Bauherrschaft ein energieeffizientes und ressourcenschonendes Gebäude verwirklichen wollte, das die Bedürfnisse der Nutzer ins Zentrum stellt. Für alle Beteiligten war sehr schnell klar, dass die Technik in den Hintergrund rücken soll. Der Vorschlag, so gut wie möglich auf Technik zu verzichten, überzeugte die Bauherrschaft sofort. Und es musste kostengünstig zu realisieren sein.

Raf: Die Kosten stellten tatsächlich – neben der Energieeffizienz – eine entscheidende Rolle dar. Aber als wir aufzeigen konnten, dass wir mit diesem Vorgehen massiv an Erstellungs- und auch an Betriebskosten einsparen können, stellte dies eine Win-win-Situation für alle von uns dar. 

Das Gebäude wird zu 100% mit erneuerbarem und im Betrieb mit CO2 neutralem PV Strom versorgt. Auch erfüllt der Neubau – über den gesamten Lebenszyklus betrachtet – das Klimaziel 2050 (Netto-Null-Emissionen) des Bundes bereits heute. Sind Gebäude dieser Art die Lösung für unser Energieproblem? Müsste nicht jeder Neubau in Zukunft die gleichen Ziele erreichen?

Raf: Das kann ein Teil unseres Energieproblems sicher lösen. Die gebaute Umgebung ist für etwa einen Drittel unseres ökologischen Fussabdrucks verantwortlich. In diesem Bereich gibt es grosses Verbesserungspotential. Bei OOS ist diese Strategie längst die Norm bei unseren Entwürfen. Wir versuchen dies bestmöglich umzusetzen. Und ja, eigentlich sollte es Pflicht sein, ich glaube aber, dass dies schon bald so sein wird.

Felix: Je nach Nutzung, Standort und Bedürfnissen sehen die Lösungen anders aus. Grundsätzlich zeigt sich aber schon, dass die Leute nicht in einem hochtechnisierten Haus wie im Film «Mon Oncle» von Jacques Tatis dargestellt, leben möchten. Die Technik allein löst die Energieprobleme nicht, sondern die Menschen mit ihrem Verhalten und ihren Bedürfnissen können eine Veränderung herbeiführen.

Schränkt sich der Entwurfs-Spielraum durch den minimalen Einsatz von Technologie ein? 

Raf: Grundsätzlich fühlen wir uns überhaupt nicht eingeschränkt. Im Gegenteil. Es ist die Aufgabe des Architekten, innerhalb von sehr vielen Anforderungen, die bestmögliche Lösung zu finden. Dies ist Teil unseres kreativen Entwurfsprozesses. Wir glauben, dass «clevere Architektur» einen Mehrwert auf unterschiedliche Weise bietet: zum Beispiel wirkt es sich auch positiv auf das Raumklima aus, auf die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit, die Akustik, das Licht oder den Geruch, etc. Diese Themen interessieren genauso, wie die rein visuelle Raumerfahrung. Ich würde sogar sagen, dass es uns viele neue Möglichkeiten bietet.

Wird dadurch die Haustechnikplanung in Zukunft zur Nebensache?

Felix: Nein, im Gegenteil. Bei einem solchen Konzept ist es wichtig, dass die Haustechnik-Planer von den Architekten in einer sehr frühen Phase miteinbezogen werden. Leider läuft es in der Regel so, dass ein Gebäude entworfen wird und die Technik muss dann noch den Komfort gewährleisten. Eine frühe gegenseitige Abstimmung und Zusammenarbeit auf Augenhöhe haben den Vorteil, dass bereits die Architektur einen Grossteil des Komforts abdecken kann und die Technik im besten Falle nur noch die Feinjustierung übernehmen muss. Eigentlich so, wie schon früher gebaut wurde.

Kann dieser Ansatz auch als «back to the roots» betrachtet werden?

Raf: Ja, man ist ein bisschen dazu verführt, diese Frage mit «Ja» zu beantworten. Aber eine solche Interpretation würde zu kurz greifen und wäre als Antwort zu einfach. 
Ein Gebäude mit einer dicken, massiven Fassade zu bauen, damit es sein Raumklima besser regulieren kann, und man keine zusätzlichen Dämmmaterialien benötigt – das zeigen auch Bauten aus dem Mittelalter. Das ist auch immer noch vernünftig. Heute aber kaum umsetzbar, da wir keine ein Meter dicke Steinwand bauen können. Ich glaube, wir sind im Bereich der technischen Gebäudeausstattung erwachsener geworden. Wir sind in der Lage, die Dinge kritisch zu hinterfragen und haben viele Erfahrungen in den letzten Jahren gesammelt.

Felix: Dem würde ich auch zustimmen. Um einen gewissen Wohnkomfort zu gewährleisten, braucht es ein nachhaltiges Konzept und viel Erfahrung im Bauen. Früher gab es noch regionale Bauunterschiede – ein Engadiner Haus unterscheidet sich von einem Bauernhaus aus dem Emmental – heute sehen sich die Gebäude immer ähnlicher. Weil die Technik am Ende den Wohnkomfort zu gewährleisten hat.
Um tiefe Betriebskosten und ein geringer Ressourcenverbrauch zu erreichen, sollte jedoch überall dort auf Technik verzichtet werden, wo der Nutzen und die Bedürfnisse auch mit intelligenten Konzepten gelöst werden können.

Welche persönlichen Lehren zieht Ihr für zukünftige Bauvorhaben aus diesem Projekt?

Raf: Diese Strategie steht erst am Anfang. Wir müssen noch viel lernen und vieles hinterfragen. Es wird zukünftig neue Diskussionen geben, zum Beispiel zum Thema «Komfort» oder wo und wie viel wir bauen. Auch wird es noch wichtiger, dass alle Planungsbereiche wie Architekten, Ingenieure, Städtebauer etc. früh miteinander zusammenarbeiten und gemeinsam Lösungen finden.

Felix: Wir brauchen mehr Mut zum Verzicht.

 

Der Vorhang ist gefallen: Sonova eröffnete das neue Wireless Competence Center in Murten

Am 13. April  präsentierte Sonova bei einer virtuellen Eröffnungsfeier das neue Bürogebäude. Die wichtigsten Eigenschaften des Gebäudes, die Bedeutung für Sonova aber auch für die Region wurden der Öffentlichkeit vorgestellt. Folgende Referenten wurden eingeladen:

  • Arnd Kaldowski, Chief Executive Officer, Sonova Gruppe 
  • Evert Dijkstra, Geschäftsführer Phonak Communications, Sonova Gruppe 
  • Olivier Curty, Staatsrat und Volkswirtschaftsdirektor, Kanton Freiburg
  • Tonja Kuhn, Architektin, OOS AG
  • Raf Dauwe, Associate Architekt, OOS AG
  • Joachim Curtius, Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung, Universität Frankfurt

 

Begeben Sie sich auf die virtuelle Reise durch den Neubau von Sonova:

https://virtual-grand-opening-murten.sonovavirtualevents.com/building

 

Mehr Infos zum Projekt:

Phonak Communications, Murten


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